Eine Einführung von Mark Gierling Immer dann, wenn die Nacht sich dem Ende neigt, vom Boden frostige Kälte aufzieht und man den herannahenden Morgen eher träumt als sieht, erscheint der Himmel in einem tiefen Blau. Auch die Sterne sieht man in diesen Momenten noch mal sehr intensiv aufleuchten und der Morgenstern macht seinem Namen alle Ehre. Doch es ist nicht nur der nahende Morgen, sondern vor allem auch das Durchleben der Dunkelheit. Das ist der Dreh- und Angelpunkt der MASS IN DEEP BLUE: Verlorenheit, Resignation, Trauer, Hoffnung, Zweifel, Vertrauen, Zuversicht und Freude. Allerdings nicht unbedingt immer dieser Reihenfolge unterworfen, sondern als eine Art Weg durch menschliche Höhen und Tiefen. Was bedeuten diese uralten Texte für uns persönlich? Kann man das glauben? Wohin mit meinen Zweifeln? So gesehen ist die MASS IN DEEP BLUE ein vertonter ökumenischer Gottesdienst, der sich der sehr alten Struktur der gemeinsamen christlichen Liturgie bedient, das jüdische Erbe immer wieder zu Wort kommen lässt und die Zuhörerinnen und Zuhörer durch sinnbildlich die Nacht in den nahenden Morgen begleiten will. „Have no fear!“/„Fürchte dich nicht!“ (Jesaja 43,1). Es muss nichts so bleiben wie es ist. Und diesen Weg müssen wir nicht alleine gehen. Die auskomponierte „Messe“ ist in erster Linie ein Musik-Genre der römisch-katholischen Kirche. Die liturgische Form der „römische Messe“ gibt bestimmte liturgische Teile vor und wird überall auf der Erde in dieser Form gefeiert. Die Ursprünge der einzelnen Teile gehen bis in die Antike bzw. das frühe Christentum zurück. Bis auf wenige Unterschiede hat Martin Luther im 16. Jahrhundert die römische Messe auch für den evangelischen Gottesdienst übernommen. Strenggenommen unterscheidet sich die Liturgie beider Konfessionen nur marginal: Luther hat die lateinische bzw. griechische Liturgie „eingedeutscht“ und daraus feste liturgische Gesänge geschaffen. Es fehlen lediglich die Bestandteile, die das katholische Opfer- bzw. Wandlungsverständnis betreffen. Die Texte entstammen entweder dem liturgischen Fundus oder aus dem Alten Testament und wurden nicht bearbeitet. Die englischsprachigen Bibeltexte entstammen unterschiedlichen Übersetzungen aus den ursprünglichen Quellsprachen. Auch hier gibt es unterschiedlichste Übersetzungen (vergleichbar Bibelübersetzungen in deutscher Sprache). PRELUDE (VORSPIEL) Mit dem Orchestervorspiel möchte ich die Zuhörerenden mit in die Tiefe einer dunklen, unruhigen und stürmischen Nacht nehmen. Dem Vorspiel liegen Melodie und Intention des Psalmliedes „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ von Martin Luther zugrunde (einer Nachdichtung des Psalms 130). YOU ARE THERE - PSALM 139 (INTROITUS) Der gesungene Eingangspsalm hat seine Wurzeln im jüdischen Gottesdienst. Diese Tradition wurde von den ersten christlichen Gemeinden übernommen. War der Psalm in den Synagogen noch ein Sologesang des Kantors, zu dem die Gemeinde einen Refrain sang, so wurde es in der Alten Kirche üblich, dass zwei Gruppen (Halbchöre) sich versweise beim Gesang abwechselten. Somit hat sich der Introitus an dieser Stelle der Gottesdienste aus verschiedenen liturgischen Traditionen entwickelt und endet mit dem "Gloria Patri" (dem sog. "kleinen Gloria"). Mit dem Psalm 139 beginnt die „MASS IN DEEP BLUE“ also mit einem Stück Zuversicht. KYRIE Das „Kyrie“ war ursprünglich ein Huldigungsruf aus vorchristlicher Zeit. Zu Jesu Zeiten wurde der römische Kaiser so begrüßt. Das daraus entstandene christliche „Herr erbame dich“ ist eine knappe Form der Anbetung und der Wunsch nach Rettung aus Not und Schuld und seit dem 4. Jahrhundert als Bestandteil der christlichen Gottesdienstliturgie nachweisbar. Auch als eine Absage an die götzenhafte Verehrung irdischer Machthaber. Schon früh wurde das „Kyrie“ auch mit dem Sündenbekenntnis verflochten, wobei es jedoch eher Ohnmacht, Hilflosigkeit, seelische und leibliche Not ausdrückt. Musikalisch will ich mich mit diesem „Kyrie“ den o. g. unterschiedlichen Facetten annähern und beginne zunächst mit einem rastlosen 7/8-Groove, zu dem der Kyrie-Ruf eindringlich und wiederkehrend erschallt. Dem Anfang folgt ein völlig anders gestalteter Solo-Teil: das alttestamentarische "Gebet des Jonah" (sog. Jonapsalm, Jon 2,3-10). Es beschreibt in dramatischen Worten die maximale Gottesferne und die Bitte nach Erlösung. Wie aus der Ferne erklingt hier wieder der Kyrie-Ruf. Der folgende orchestrale Teil lässt eine eher traditionelle Kyrie-Form erkennen (mit Anleihen an die Gregorianik) und nähert sich durch mehrere Tonarten dem Schluss. Schließlich findet man sich im Anfangsteil wieder. Das Kyrie endet abrupt. Unbeantwortet. Es verhallt. Im Nichts? GLORIA Das „Gloria“ setzt sich aus dem Lobgesang der Engel aus Lukas 2 und dem sogenannten „Laudamus“ zusammen und wurde seit dem 4. Jahrhundert schrittweise in den Gottesdienstablauf aufgenommen. In den protestantischen Liturgien des 19. und 20. Jahrhunderts begann man, das „Laudamus“zu kürzen, wegzulassen (das Gloria also auf Lukas 2,14 zu reduzieren) oder durch andere Liedverse zu ersetzen. Daher findet sich das „Gloria“ in evangelischen Gottesdiensten zumeist in den liturgischen Chorälen „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr“ bzw. „Ehre sei Gott in der Höhe“ wieder. Die katholische Liturgie hat stattdessen am alten „Laudamus“ festgehalten (so auch in dieser Gospelmesse). Musikalisch steht das „Gloria“ in der „MASS IN DEEP BLUE“ im absoluten Kontrast zum vorhergegangenen „Kyrie“ und beginnt mit einer friedlichen Stimmung, die dem „Lobgesang der Engel“ den Boden bereitet. Der Mittelteil im „Gospelsound“ soll den freudvollen Aspekt dieser Botschaft unterstreichen und mündet schließlich in einen ruhigen meditativen Schluss. Soll es nicht so sein? Friede auf Erden! LOOK ON ME - PSALM 13 (TRACTUS) Der „Tractus“ ist in der alten Liturgie ein fester Bestandteil des Gottesdienstes ein „Psalmengesang ohne Kehrvers“. Vermutlich im 6. Jahrhundert wurde dieser allerdings an allen passenden Tagen durch den freudvolleren Hallelujagesang ersetzt, so dass die Tractusgesänge mit entsprechendem ernsteren Charakter nur noch an wenigen Tagen gesungen wurden (z. B. in der Passionszeit). Die Psalmtexte des „Tractus“ umfassen Motive der Buße und Trauer, aber auch solche der Hoffnung, Zuversicht und Freude. Das Vorspiel ist daher ein deutlicher Kontrast zur vorhergegangenen „seligen“ Stimmung im „Gloria“ und bereitet die Zuhörenden auf die drängenden Bitten des Psalm 13 vor: Wo bist du, Herr, wenn ich dich brauche? CREDO Das Zentrum der Gospelmesse bildet das Glaubensbekenntnis in der ökumenischen Fassung. Das sich wiederholende Motiv im E-Bass bildet das Fundament, auf dem sich der Chorgesang entfalten kann. Der im Text des Glaubensbekenntnisses fast beiläufig gehaltene Übergang vom „Reich des Todes“ zur Auferstehung wird musikalisch durch ein Orchesterzwischenspiel mit Zitaten aus dem alten Osterchoral „Christ ist erstanden“ betont und ausgemalt. SANCTUS Das „Sanctus“ (aus dem lat. „Heilig“) gehört zum alten Bestand des christlichen Gottesdienstes und wird zu in der römischen Kirche zu Beginn des eucharastischen Hochgebets als Antwort der Gemeinde auf die Präfation (im lutherischen Gottesdienst unmittelbar vor den „Einsetzungsworten“ des Abendmahls) in der Regel von allen Teilnehmenden gemeinsam gesungen. Der Text setzt sich aus verschiedenen Bibelstellen zusammen: Jesaja 6, Psalm 118 (beides Altes Testament) sowie Matthäusevangelium 21,9 (Einzug Jesu in Jerusalem am „Palmsonntag“). Durch den Ursprung. Überhaupt gehört dieser Text zu den großen Mysterien des christlichen Glaubens. Das in Jesaja 6,3 genannte Dreimalheilig (hebräisch kadosh kadosh kadosh adonai zebaot) inspirierte auch viele weitere frühchristliche Textstellen. Erstmalig findet das „Sanctus“ im 4. Jahrhundert seinen Eingang in die Liturgie. Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, wie das „Sanctus“ klingen soll. Irgendwie ist es auch schwer zu erfassen. Wie irgendwas, was sich über unseren Köpfen abspielt nicht begreifbar. Ich nähere mich diesem Teil daher mit verschiedenen Ebenen an: Es beginnt, wie sollte es auch anders sein, mit der dominanten brachialen orchestral angelegten Akklamation der Engel. Es folgt ein Teil, der sich der dem „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn“-Ruf widmet. Der christlichen Tradition zufolge erschallte dieser Ruf auch aus der zusammen gelaufenen Menschen-menge, als Jesus auf einem Esel kurz vor seiner Hinrichtung in Jerusalem einzog (im Kirchenjahr der Palmsonntag). Haben viele dieser Leute nicht kurz danach „Kreuzige ihn“ gerufen? Dieser fast mechanisch sich wiederholende Ruf, der musikalisch in einem Blues-Pattern verhaftet ist, muss in sich zusammenfallen. Ein meditativer weiterer Teil im „Gospelsound“ soll wieder ein Stück weit die Herzen öffnen und zum Kern des Textes führen. Doch trotzdem endet das Stück in einer Adaption des Anfangsteils und endet mit einem Paukenschlag. OUR FATHER (LORD‘S PRAYER) Das „Vater unser“ fußt auf einer alten jüdischen Gebetsform (Kaddish) und ist in seiner Schlichtheit und Stärke bis heute eine nie versiegende Quelle. In meiner Interpretation steht ein Aspekt im Mittelpunkt: „Dein Reich komme“. Wie soll das aussehen? Eine Gesellschaft in Frieden und im Einklang mit der Schöpfung? Oder doch nur das „Leben nach dem Tod“? Ein Traum? Eine Utopie? Ich möchte die Zuhörenden nicht zum Ölberg führen, sondern mit an das Ufer des See Genezareth. In der heißen Mittagssonne liegen Fischerboote und die Wellen plätschern träge an das Ufer. Da wo alles begann. Bald wird hier ein junger Wanderprediger auftauchen und Menschen dazu auffordern, ihm zu folgen. Im Intro erklingt wie aus der Ferne „thy kingdom come“. Es folgt ein Dialog zwischen Vorsängerin und Chor. Es bleibt aber ein Gebet. Gemeinsam gebetet – über alle Konfessionen hinweg. AGNUS DEI Das Agnus Dei (Lamm Gottes) nimmt Bezug auf der Pessachlamm. Der christlichen Tradition nach, hat Jesus hat kurz vor seiner Kreuzigung gemeinsam mit seinen Jüngern das Pessachmahl gefeiert (das sog. Abendmahl), bei gemäß der jüdischen Tradition ungesäuertes Brot und Wein verzehrt wurde (in Gedenken an den Auszug des Volkes Israels aus der ägyptischen Knechtschaft). In der Liturgie ist die „Agnus Dei“-Formel seit dem 7. Jahrhundert bekannt. In der römisch-katholischen Kirche ist es Bestandteil der Eucharistiefeier. In der Abendmahlsliturgie der evangelisch-lutherischen Kirche wird es nach den Einsetzungsworten gesungen. Luther hat dazu eine deutsche Fassung geschrieben (das „Christe, du Lamm Gottes). An der Stelle des Gottesdienstes, an der Christen am meisten zusammenrücken sollten, gibt es bis heute kein Einvernehmen, wie die „Hl. Kommunion“ bzw. das „Abendmahl“ theologisch zueinander finden können. Eine bis heute nicht geheilte offene Wunde der Ökumene. In der MASS IN DEEP BLUE versuche ich, die scheinbaren Widersprüche musikalisch zusammen zu bringen. Das „Agnus Dei“ beginnt mit einem fugenartigen Aufbau, der sich der Melodie des Lutherchorals „Christe, du Lamm Gottes“ bedient. Es folgt ein gregorianisch anmutende „Agnus Dei“-Thema, das in den ersten Chorteil überleitet. Im Zentrum dieser Komposition steht ein Soloteil, der sich den sog. „Gottesknechtliedern“ (Jesaja 40ff) aus dem Alten Testament widmet (6. Jahrhundert vor Christus). Dieser Text bezieht nach jüdischem Verständnis auf den persischen König Kyros II., der sich als Freund und Retter der Juden erwies bzw. ist nach dieser Tradition als eine Metapher für das Volk Israel zu verstehen. Aus christlicher Tradition verweist dieser Text jedoch auf das baldige Kommen des Erlösers. Auch hier eine gewisse Unversöhnlichkeit in der Auslegung eines Textes – verschmolzen in ein Stück Musik. Das abschließende „Agnus Dei […] Dona nobis pacem“ kehrt zurück in den gregorianischen Modus und endet in einem offenen Akkord (ein eher gefühltes E-Moll). Ein letzter Einwurf des Chorals „Christe, du Lamm Gottes“ lässt dieses Stück jedoch Dur enden. STAY WITH US - LK 24 (PRAYER) Das meditative beginnende Schlussgebet bezieht sich auf Lukas 24 (der Auferstandene zeigt sich bei Emmaus). Philipp Melanchthon, ein Weggefährte Luthers, hat dazu 1579 ein schlichtes Gebet verfasst („Vespera iam venit“), das hier in der englischen Übersetzung gesungen wird. Dabei wandert das sich wiederholende Thema durch unterschiedliche Tonarten. Eine Bitte um Beistand, egal in welcher Lebenslage. HAVE NO FEAR (FINALE) Dunkel und schleppend beginnt das Finalstück der MASS IN DEEP BLUE und leitet in einen Text der Hoffnung ein: Jesaja 43. Eine Text, in dem aus Jesaja die Stimme Gottes spricht: „Fürchte dich nicht, denn ich werde dich erlösen; ich werde dich bei deinem Namen rufen; du bist mein!“ eine versöhnende Botschaft, die am Schluss dieser Gospelmesse stehen soll und als Zeichen der Hoffnung und Zuversicht zu verstehen ist. Dieser Text ist nach meinem Verständnis auch der kleinste gemeinsame Nenner, auf dem man sich doch trotz aller konfessionellen Unterschiede verständigen könnte. Es ist nicht zu spät, eine bessere Welt ist möglich und wir sind dabei nicht alleine. Ein besonderes Augenmerk bekommt die Zusage „Fürchte dich nicht, denn ich werde dich erlösen!“ „I will set you free!“ (im Englischen mehr „befreien“ als „erlösen“). Den Abschluss der MASS IN DEEP BLUE bildet ein Schlusssegen, der ebenfalls aus der „Feder“ Jesajas stammt (Jesaja 60,20): „Deine Sonne wird nicht mehr untergehen und dein Mond nicht den Schein verlieren; denn der Herr wird dein ewiges Licht sein, und die Tage deines Leidens sollen ein Ende haben.“
INFOS & ANFRAGEN
MARK GIERLING MASS IN DEEP BLUE
Gospelmesse für Solo & Chor
Orchester & Band
AUFFÜHRUNGEN 2022/2023
D
ENG
Eine Einführung von Mark Gierling Immer dann, wenn die Nacht sich dem Ende neigt, vom Boden frostige Kälte aufzieht und man den herannahenden Morgen eher träumt als sieht, erscheint der Himmel in einem tiefen Blau. Auch die Sterne sieht man in diesen Momenten noch mal sehr intensiv aufleuchten und der Morgenstern macht seinem Namen alle Ehre. Doch es ist nicht nur der nahende Morgen, sondern vor allem auch das Durchleben der Dunkelheit. Das ist der Dreh- und Angelpunkt der MASS IN DEEP BLUE: Verlorenheit, Resignation, Trauer, Hoffnung, Zweifel, Vertrauen, Zuversicht und Freude. Allerdings nicht unbedingt immer dieser Reihenfolge unterworfen, sondern als eine Art Weg durch menschliche Höhen und Tiefen. Was bedeuten diese uralten Texte für uns persönlich? Kann man das glauben? Wohin mit meinen Zweifeln? So gesehen ist die MASS IN DEEP BLUE ein vertonter ökumenischer Gottesdienst, der sich der sehr alten Struktur der gemeinsamen christlichen Liturgie bedient, das jüdische Erbe immer wieder zu Wort kommen lässt und die Zuhörerinnen und Zuhörer durch sinnbildlich die Nacht in den nahenden Morgen begleiten will. „Have no fear!“/„Fürchte dich nicht!“ (Jesaja 43,1). Es muss nichts so bleiben wie es ist. Und diesen Weg müssen wir nicht alleine gehen. Die auskomponierte „Messe“ ist in erster Linie ein Musik-Genre der römisch-katholischen Kirche. Die liturgische Form der „römische Messe“ gibt bestimmte liturgische Teile vor und wird überall auf der Erde in dieser Form gefeiert. Die Ursprünge der einzelnen Teile gehen bis in die Antike bzw. das frühe Christentum zurück. Bis auf wenige Unterschiede hat Martin Luther im 16. Jahrhundert die römische Messe auch für den evangelischen Gottesdienst übernommen. Strenggenommen unterscheidet sich die Liturgie beider Konfessionen nur marginal: Luther hat die lateinische bzw. griechische Liturgie „eingedeutscht“ und daraus feste liturgische Gesänge geschaffen. Es fehlen lediglich die Bestandteile, die das katholische Opfer- bzw. Wandlungsverständnis betreffen. Die Texte entstammen entweder dem liturgischen Fundus oder aus dem Alten Testament und wurden nicht bearbeitet. Die englischsprachigen Bibeltexte entstammen unterschiedlichen Übersetzungen aus den ursprünglichen Quellsprachen. Auch hier gibt es unterschiedlichste Übersetzungen (vergleichbar Bibelübersetzungen in deutscher Sprache). PRELUDE (VORSPIEL) Mit dem Orchestervorspiel möchte ich die Zuhörerenden mit in die Tiefe einer dunklen, unruhigen und stürmischen Nacht nehmen. Dem Vorspiel liegen Melodie und Intention des Psalmliedes „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ von Martin Luther zugrunde (einer Nachdichtung des Psalms 130). YOU ARE THERE - PSALM 139 (INTROITUS) Der gesungene Eingangspsalm hat seine Wurzeln im jüdischen Gottesdienst. Diese Tradition wurde von den ersten christlichen Gemeinden übernommen. War der Psalm in den Synagogen noch ein Sologesang des Kantors, zu dem die Gemeinde einen Refrain sang, so wurde es in der Alten Kirche üblich, dass zwei Gruppen (Halbchöre) sich versweise beim Gesang abwechselten. Somit hat sich der Introitus an dieser Stelle der Gottesdienste aus verschiedenen liturgischen Traditionen entwickelt und endet mit dem "Gloria Patri" (dem sog. "kleinen Gloria"). Mit dem Psalm 139 beginnt die „MASS IN DEEP BLUE“ also mit einem Stück Zuversicht. KYRIE Das „Kyrie“ war ursprünglich ein Huldigungsruf aus vorchristlicher Zeit. Zu Jesu Zeiten wurde der römische Kaiser so begrüßt. Das daraus entstandene christliche „Herr erbame dich“ ist eine knappe Form der Anbetung und der Wunsch nach Rettung aus Not und Schuld und seit dem 4. Jahrhundert als Bestandteil der christlichen Gottesdienstliturgie nachweisbar. Auch als eine Absage an die götzenhafte Verehrung irdischer Machthaber. Schon früh wurde das „Kyrie“ auch mit dem Sündenbekenntnis verflochten, wobei es jedoch eher Ohnmacht, Hilflosigkeit, seelische und leibliche Not ausdrückt. Musikalisch will ich mich mit diesem „Kyrie“ den o. g. unterschiedlichen Facetten annähern und beginne zunächst mit einem rastlosen 7/8- Groove, zu dem der Kyrie-Ruf eindringlich und wiederkehrend erschallt. Dem Anfang folgt ein völlig anders gestalteter Solo-Teil: das alttestamentarische "Gebet des Jonah" (sog. Jonapsalm, Jon 2,3-10). Es beschreibt in dramatischen Worten die maximale Gottesferne und die Bitte nach Erlösung. Wie aus der Ferne erklingt hier wieder der Kyrie- Ruf. Der folgende orchestrale Teil lässt eine eher traditionelle Kyrie- Form erkennen (mit Anleihen an die Gregorianik) und nähert sich durch mehrere Tonarten dem Schluss. Schließlich findet man sich im Anfangsteil wieder. Das Kyrie endet abrupt. Unbeantwortet. Es verhallt. Im Nichts? GLORIA Das „Gloria“ setzt sich aus dem Lobgesang der Engel aus Lukas 2 und dem sogenannten „Laudamus“ zusammen und wurde seit dem 4. Jahrhundert schrittweise in den Gottesdienstablauf aufgenommen. In den protestantischen Liturgien des 19. und 20. Jahrhunderts begann man, das „Laudamus“zu kürzen, wegzulassen (das Gloria also auf Lukas 2,14 zu reduzieren) oder durch andere Liedverse zu ersetzen. Daher findet sich das „Gloria“ in evangelischen Gottesdiensten zumeist in den liturgischen Chorälen „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr“ bzw. „Ehre sei Gott in der Höhe“ wieder. Die katholische Liturgie hat stattdessen am alten „Laudamus“ festgehalten (so auch in dieser Gospelmesse). Musikalisch steht das „Gloria“ in der „MASS IN DEEP BLUE“ im absoluten Kontrast zum vorhergegangenen „Kyrie“ und beginnt mit einer friedlichen Stimmung, die dem „Lobgesang der Engel“ den Boden bereitet. Der Mittelteil im „Gospelsound“ soll den freudvollen Aspekt dieser Botschaft unterstreichen und mündet schließlich in einen ruhigen meditativen Schluss. Soll es nicht so sein? Friede auf Erden! LOOK ON ME - PSALM 13 (TRACTUS) Der „Tractus“ ist in der alten Liturgie ein fester Bestandteil des Gottesdienstes ein „Psalmengesang ohne Kehrvers“. Vermutlich im 6. Jahrhundert wurde dieser allerdings an allen passenden Tagen durch den freudvolleren Hallelujagesang ersetzt, so dass die Tractusgesänge mit entsprechendem ernsteren Charakter nur noch an wenigen Tagen gesungen wurden (z. B. in der Passionszeit). Die Psalmtexte des „Tractus“ umfassen Motive der Buße und Trauer, aber auch solche der Hoffnung, Zuversicht und Freude. Das Vorspiel ist daher ein deutlicher Kontrast zur vorhergegangenen „seligen“ Stimmung im „Gloria“ und bereitet die Zuhörenden auf die drängenden Bitten des Psalm 13 vor: Wo bist du, Herr, wenn ich dich brauche? CREDO Das Zentrum der Gospelmesse bildet das Glaubensbekenntnis in der ökumenischen Fassung. Das sich wiederholende Motiv im E-Bass bildet das Fundament, auf dem sich der Chorgesang entfalten kann. Der im Text des Glaubensbekenntnisses fast beiläufig gehaltene Übergang vom „Reich des Todes“ zur Auferstehung wird musikalisch durch ein Orchesterzwischenspiel mit Zitaten aus dem alten Osterchoral „Christ ist erstanden“ betont und ausgemalt. SANCTUS Das „Sanctus“ (aus dem lat. „Heilig“) gehört zum alten Bestand des christlichen Gottesdienstes und wird zu in der römischen Kirche zu Beginn des eucharastischen Hochgebets als Antwort der Gemeinde auf die Präfation (im lutherischen Gottesdienst unmittelbar vor den „Einsetzungsworten“ des Abendmahls) in der Regel von allen Teilnehmenden gemeinsam gesungen. Der Text setzt sich aus verschiedenen Bibelstellen zusammen: Jesaja 6, Psalm 118 (beides Altes Testament) sowie Matthäusevangelium 21,9 (Einzug Jesu in Jerusalem am „Palmsonntag“). Durch den Ursprung. Überhaupt gehört dieser Text zu den großen Mysterien des christlichen Glaubens. Das in Jesaja 6,3 genannte Dreimalheilig (hebräisch kadosh kadosh kadosh adonai zebaot) inspirierte auch viele weitere frühchristliche Textstellen. Erstmalig findet das „Sanctus“ im 4. Jahrhundert seinen Eingang in die Liturgie. Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, wie das „Sanctus“ klingen soll. Irgendwie ist es auch schwer zu erfassen. Wie irgendwas, was sich über unseren Köpfen abspielt nicht begreifbar. Ich nähere mich diesem Teil daher mit verschiedenen Ebenen an: Es beginnt, wie sollte es auch anders sein, mit der dominanten brachialen orchestral angelegten Akklamation der Engel. Es folgt ein Teil, der sich der dem „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn“-Ruf widmet. Der christlichen Tradition zufolge erschallte dieser Ruf auch aus der zusammen gelaufenen Menschen- menge, als Jesus auf einem Esel kurz vor seiner Hinrichtung in Jerusalem einzog (im Kirchenjahr der Palmsonntag). Haben viele dieser Leute nicht kurz danach „Kreuzige ihn“ gerufen? Dieser fast mechanisch sich wiederholende Ruf, der musikalisch in einem Blues-Pattern verhaftet ist, muss in sich zusammenfallen. Ein meditativer weiterer Teil im „Gospelsound“ soll wieder ein Stück weit die Herzen öffnen und zum Kern des Textes führen. Doch trotzdem endet das Stück in einer Adaption des Anfangsteils und endet mit einem Paukenschlag. OUR FATHER (LORD‘S PRAYER) Das „Vater unser“ fußt auf einer alten jüdischen Gebetsform (Kaddish) und ist in seiner Schlichtheit und Stärke bis heute eine nie versiegende Quelle. In meiner Interpretation steht ein Aspekt im Mittelpunkt: „Dein Reich komme“. Wie soll das aussehen? Eine Gesellschaft in Frieden und im Einklang mit der Schöpfung? Oder doch nur das „Leben nach dem Tod“? Ein Traum? Eine Utopie? Ich möchte die Zuhörenden nicht zum Ölberg führen, sondern mit an das Ufer des See Genezareth. In der heißen Mittagssonne liegen Fischerboote und die Wellen plätschern träge an das Ufer. Da wo alles begann. Bald wird hier ein junger Wanderprediger auftauchen und Menschen dazu auffordern, ihm zu folgen. Im Intro erklingt wie aus der Ferne „thy kingdom come“. Es folgt ein Dialog zwischen Vorsängerin und Chor. Es bleibt aber ein Gebet. Gemeinsam gebetet über alle Konfessionen hinweg. AGNUS DEI Das Agnus Dei (Lamm Gottes) nimmt Bezug auf der Pessachlamm. Der christlichen Tradition nach, hat Jesus hat kurz vor seiner Kreuzigung gemeinsam mit seinen Jüngern das Pessachmahl gefeiert (das sog. Abendmahl), bei gemäß der jüdischen Tradition ungesäuertes Brot und Wein verzehrt wurde (in Gedenken an den Auszug des Volkes Israels aus der ägyptischen Knechtschaft). In der Liturgie ist die „Agnus Dei“-Formel seit dem 7. Jahrhundert bekannt. In der römisch-katholischen Kirche ist es Bestandteil der Eucharistiefeier. In der Abendmahlsliturgie der evangelisch-lutherischen Kirche wird es nach den Einsetzungsworten gesungen. Luther hat dazu eine deutsche Fassung geschrieben (das „Christe, du Lamm Gottes). An der Stelle des Gottesdienstes, an der Christen am meisten zusammenrücken sollten, gibt es bis heute kein Einvernehmen, wie die „Hl. Kommunion“ bzw. das „Abendmahl“ theologisch zueinander finden können. Eine bis heute nicht geheilte offene Wunde der Ökumene. In der MASS IN DEEP BLUE versuche ich, die scheinbaren Widersprüche musikalisch zusammen zu bringen. Das „Agnus Dei“ beginnt mit einem fugenartigen Aufbau, der sich der Melodie des Lutherchorals „Christe, du Lamm Gottes“ bedient. Es folgt ein gregorianisch anmutende „Agnus Dei“-Thema, das in den ersten Chorteil überleitet. Im Zentrum dieser Komposition steht ein Soloteil, der sich den sog. „Gottesknechtliedern“ (Jesaja 40ff) aus dem Alten Testament widmet (6. Jahrhundert vor Christus). Dieser Text bezieht nach jüdischem Verständnis auf den persischen König Kyros II., der sich als Freund und Retter der Juden erwies bzw. ist nach dieser Tradition als eine Metapher für das Volk Israel zu verstehen. Aus christlicher Tradition verweist dieser Text jedoch auf das baldige Kommen des Erlösers. Auch hier eine gewisse Unversöhnlichkeit in der Auslegung eines Textes verschmolzen in ein Stück Musik. Das abschließende „Agnus Dei […] Dona nobis pacem“ kehrt zurück in den gregorianischen Modus und endet in einem offenen Akkord (ein eher gefühltes E-Moll). Ein letzter Einwurf des Chorals „Christe, du Lamm Gottes“ lässt dieses Stück jedoch Dur enden. STAY WITH US - LK 24 (PRAYER) Das meditative beginnende Schlussgebet bezieht sich auf Lukas 24 (der Auferstandene zeigt sich bei Emmaus). Philipp Melanchthon, ein Weggefährte Luthers, hat dazu 1579 ein schlichtes Gebet verfasst („Vespera iam venit“), das hier in der englischen Übersetzung gesungen wird. Dabei wandert das sich wiederholende Thema durch unterschiedliche Tonarten. Eine Bitte um Beistand, egal in welcher Lebenslage. HAVE NO FEAR (FINALE) Dunkel und schleppend beginnt das Finalstück der MASS IN DEEP BLUE und leitet in einen Text der Hoffnung ein: Jesaja 43. Eine Text, in dem aus Jesaja die Stimme Gottes spricht: „Fürchte dich nicht, denn ich werde dich erlösen; ich werde dich bei deinem Namen rufen; du bist mein!“ eine versöhnende Botschaft, die am Schluss dieser Gospelmesse stehen soll und als Zeichen der Hoffnung und Zuversicht zu verstehen ist. Dieser Text ist nach meinem Verständnis auch der kleinste gemeinsame Nenner, auf dem man sich doch trotz aller konfessionellen Unterschiede verständigen könnte. Es ist nicht zu spät, eine bessere Welt ist möglich und wir sind dabei nicht alleine. Ein besonderes Augenmerk bekommt die Zusage „Fürchte dich nicht, denn ich werde dich erlösen!“ „I will set you free!“ (im Englischen mehr „befreien“ als „erlösen“). Den Abschluss der MASS IN DEEP BLUE bildet ein Schlusssegen, der ebenfalls aus der „Feder“ Jesajas stammt (Jesaja 60,20): „Deine Sonne wird nicht mehr untergehen und dein Mond nicht den Schein verlieren; denn der Herr wird dein ewiges Licht sein, und die Tage deines Leidens sollen ein Ende haben.“
INFOS & ANFRAGEN
MARK GIERLING MASS IN DEEP BLUE
Gospelmesse für Solo & Chor
Orchester & Band
URAUFFÜHRUNGEN 2022
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